Giersch – reiche Ernte ohne Aussaat
Ich kniee vor einem Blumenbeet im Garten meines Vaters und grase aus. So sagen wir in Franken, wenn wir Unkraut jäten. Mein alter Herr steht hinter mir, die Hände in die Hüften gestemmt und führt das Kommando: „Tu amol a weng die Stränzela raus!“ „Was denn sonst“, antworte ich belustigt, denn das Beet ist voller Giersch – den ‚Stränzela’ eben. Ein spitzbübisches Lächeln huscht über sein Gesicht: „Wenn man bedenkt, dass sa jetzt scho vo München raufkomma, um sich a boa Pfenning dazuzuverdiena“, sagt er bedeutungsvoll, „da muss die Lage ja wirklich schlecht sei.“ Das ist mein Vater, wie er leibt und lebt. „Wenn ich Dich nicht hätte“, sage ich lachend, „dann ginge es mir wirklich schlecht.“
Immer wenn ich in meine alte Heimat komme, stehe ich als Wanderarbeiterin bei meinem Vater in Lohn und Brot. „Was hältst Du davon, wenn ich aus den Stränzela heut’ Mittag einen Spinat koche?“, frage ich ihn. „Mit Bratkartoffeln und Ei dazu?“ Jetzt ist er sprachlos, und das kommt bei ihm, dem 86-Jährigen, nur selten vor. Brennnesseln hätte seine Mutter gesammelt und Spinat daraus gekocht, daran erinnert er sich. Aber Stränzela? Die bekamen die beiden Geisen, welche er als Bub hatte hüten musste. „Na prima“, sage ich, „dann kann Dir Deine Tochter noch etwas beibringen.“ Wieder blitzen seine Augen, und die Antwort folgt auf dem Fuß: „Aber sterb’n will ich fei noch nia.“ „Ich mach’ einfach deine Vorkosterin“, beruhige ich ihn. „Du bist mer a Schöna!“, sagt er verschmitzt und droht mir mit dem Zeigefinger.
Giersch im Garten - nicht ärgern, sondern aufessen!
Es gibt ja Menschen, die sich über den Giersch so ärgern, dass sie ihn nicht essen mögen. Schade eigentlich, denn wo sonst im Garten gibt es das ganze Jahr über eine derart reiche Ernte ohne die Mühen der Aussaat und Pflege. Mein Vater gehört jedenfalls nicht zu den Giersch-Verächtern, das hat er anschließend bewiesen. Er ist durchaus heikel, wenn es um meine kulinarischen Experimente geht, aber oft genug treffe ich seine Lust, Neues zu erfahren, sodass er anderen später stolz davon erzählen kann.
Wenn auch Sie neugierig geworden sind, dann versuchen Sie es doch, sich mit dem Giersch kulinarisch anzufreunden. Eine Handvoll davon in die Suppe gerührt oder unter den Salat und in den Spinat gemischt, und ein Anfang ist gemacht. Ausgraben hilft bei dieser Pflanze ohnehin wenig, weil aus den fein verzweigten Wurzeln beim geringsten Lichteinfall jede Menge neuer Pflänzchen austreiben. Wenn Sie aber den Giersch künftig nicht als Unkraut, sondern als Wildgemüse betrachten, das man regelmäßig beerntet, geht ihm mit etwas Glück im Laufe der Gartensaison von selbst die Kraft aus.
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